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Native Instruments Traktor DJ Test

Wieder einmal lief der Marketing-Hype von Native Instruments verlässlich durch das Internet wie ein Jagddackel durch den Fuchsbau. Erst ein Gegenlichtfoto von Richie  Hawtin, dann eins von DJ Qbert, dann ein Schnappschuß von Scarlett Etienne, allesamt mit einem Apfel-Flachbrettrechner in der Hand und ohne die Möglichkeit, einen Blick vom Bildschirm zu erhaschen. Und worauf haben die nun alle so interessiert geschaut? Richtig, auf Traktor DJ, die funkelniegelnagelneue DJ-Software von der Firma, ohne die – das kann man wohl ohne Übertreibung sagen – der Siegeszug des digitalen DJings wahrscheinlich nicht so verlaufen wäre, wie wir es bis dato erlebt ha

Native Instruments Traktor DJ nun auch fürs iPad
Native Instruments Traktor DJ nun auch fürs iPad

ben.
Die Erwartungen sind folglich hoch, extrem hoch, denn es ist nun mal etwas anderes, ob eine kleine Softwarefirma ihre DJ-App veröffentlicht oder der Marktführer. Wie das, was die Berliner uns jetzt auf unser Lieblings-Tablett gezaubert haben, im Detail ausschaut, lest ihr im Folgenden.

Details

Konzept

Traktor DJ ist eine Standalone 2-Deck DJ-Software für das Apple iPad (iPad 2, iOS 6 aufwärts). Das Screendesign ist fest auf die horizontale Ansicht hin ausgelegt und das Drehen des iPads ins Hochformat wird entsprechend ignoriert. Zentrales Element des GUI sind die beiden Decks und die darin horizontal visualisierte Wellenform des aktuellen Abspielbereichs plus einer darunter liegenden verkleinerten Übersicht des gesamten Stücks. In diese Miniaturansicht lassen sich gesetzte Cue-Punkte überblicken, durch Fingergesten in der darüber liegenden Wellenform zoomen und der Abspielbereich so verschieben, dass man schnell zu einer anderen Position im Song springen kann.

Native Instruments Traktor DJ: Der Hauptbildschirm
Native Instruments Traktor DJ: Der Hauptbildschirm

Bestehenden Traktor-Usern dürfte diese Darstellung durchaus vertraut vorkommen. Hier enden dann aber auch schnell die Gemeinsamkeiten, denn weitergehende Bedienelemente wie Play, Loop, der Zugriff auf Effekte, Equalizer und allen voran dem Crossfader sind ungewohnterweise am rechten Bildschirmrand platziert. Das hat seinen Grund, denn das Ziel bei der Entwicklung einer DJ-Software für das iPad war laut Native Instruments, keine Portierung von Traktor vorzunehmen, sondern einen neuen, eigenständigen Ansatz zu entwickeln, der umfassenden Gebrauch von den Touch-Möglichkeiten macht. Das Kernkonzept von Traktor DJ ist folglich, dass man sehr viele Bedienvorgänge wie etwa das Abfeuern von Loops und Slices oder das Justieren des Beatgrid direkt mit den Fingern in der Wellenform vornimmt. Um hierfür ausreichend Platz zu schaffen, sind die unverzichtbaren Bedienelemente entsprechend an den Rand gewandert.
Pro Deck steht eine Effekteinheit mit drei Effekt-Tabs bereit, die mit jeweils einem von acht selektierbaren Effekten (Traktor-Usern nicht unbekannt: Delay, Reverb, Gater, Flanger, Beatmasher 2, Digital LoFi, LP/HP-Filter) bestückt werden können. Dabei kann allerdings immer nur ein Effekt aktiv sein, die drei Tabs dienen also vornehmlich dem schnellen Wechsel zwischen den Effekten.
Zusätzlich verfügt jedes Deck über einen Dreiband-Equalizer (High, Mid, Low) und ein duales Filter (HP/LP) mit Resonanz. Effekte und Filter werden über eine XY-Matrix bedient, die von einem Schloßsymbol flankiert wird, das die Feststellung des entsprechenden Parameters (auch nach dem Absetzen des Fingers) bewirkt. Den EQs samt Lautstärke regelt man über vier vertikale Fader.

Native Instruments Traktor DJ: Effekt, Filter und Equalizer in der aufgeklappten Ansicht
Native Instruments Traktor DJ: Effekt, Filter und Equalizer in der aufgeklappten Ansicht

Grundsätzlich ist Traktor DJ als Standalone-App konzipiert und die Steuerung durch einen externen Controller (noch) nicht vorgesehen. Auf Rückfrage bei NI war aber zu erfahren, dass man diese Option für die ferne Zukunft nicht völlig ausschließt, sie nur aktuell und vor dem Hintergrund, dass man Traktor DJ ja primär als Touch-Software entwickelt habe, nicht auf der Roadmap steht.
Was ist aber dann mit dem alten, leidigen Thema des Vorhörens (Stichwort: Mono-Split-Kabel) – höre ich es im Saal murmeln. Nun, die einfachste aller Möglichkeiten ist auch in Traktor DJ das Aktivieren des Split-Output, woraufhin beide Decks mono dem linken Kanal zugewiesen werden und der nun frei werdende rechte Kanal (ebenfalls in mono) als Cueing-Ausgang dienen kann. Ist diese Option eingeschaltet oder eine externe Multi-I/O-Karte aktiviert, erscheint ein kleines Cue-Icon in den Decks. Wer die Umwelt mit zeitgemäßem Stereoklang erfreuen will, muss also entweder „blind“ mischen oder via Camera Connection Kit auf einen der NI Audiowandler (Audio 6/10) oder ein anderes Multi-I/O-fähiges Gerät zurückgreifen. Im Test arbeiteten auch ein Traktor Kontrol Z2 und ein Vestax Spin 2 anstandslos mit der Software zusammen. Gerade in Verbindung mit einem externen Mischer wirkt es irgendwie schade, dass die beiden Decks konzeptionell nicht komplett auf die beiden Stereokanäle addressiert werden können, sondern man – wenn man am externen Mischpult mischen und vorhören möchte – über den Umweg gehen muss, eines der Decks auf den Cue-, das andere auf den Main-Out zu legen.

Native Instruments Traktor DJ: Sobald man einen zweiten Cue-Ausgang gewählt hat, erscheint ein Vorhör-Taster
Native Instruments Traktor DJ: Sobald man einen zweiten Cue-Ausgang gewählt hat, erscheint ein Vorhör-Taster

Sehr kommunikationsfreudig zeigt sich Traktor DJ, wenn es darum geht, Informationen mit seinem großen Bruder auszutauschen. Via Dropbox-Ordner können mit Traktor Pro (ab Version 2.6.1., die ebenfalls für diese Woche angekündigt ist) folgende Metadaten der Track-Collection ausgetauscht werden: Cue Points, Loop Points und Beatgrids. Ein Playlisten-Sync wird noch nicht unterstützt, man munkelt aber, dass dieses Sync-Feature alsbald in einer der kommenden Updates nachgereicht wird.

Traktor DJ bietet die Möglichkeit, Playlisten über den Online-Dienst „Dropbox“ über mehrere Geräte zu synchronisieren
Traktor DJ bietet die Möglichkeit, Playlisten über den Online-Dienst „Dropbox“ über mehrere Geräte zu synchronisieren

Installation

Die knapp dreißig Megabyte große App findet ihren Weg in gewohnter Weise über den App-Store auf den Mobilrechner. Neben der optionalen Aktivierung des Split-Outputs und der Einrichtung des Dropbox-Accounts sind keine weiteren Schritte erforderlich, um mit der Applikation zu arbeiten. Auf dem iPad vorhandene Playlisten und Musik werden anstandslos erkannt und können sofort als Mixmaterial herangezogen werden.

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Praxis

Um den Benutzer mit der Software vertraut zu machen, zeigt Traktor DJ von Beginn an im so genannten Notification-Center 15 Benachrichtigungen an. Öffnet man diese, lernt man in (wirklich appetitlich) kurzen Tutorials jeweils einen Arbeitsschritt. Sobald man diesen innerhalb der Software ausgeführt hat, verschwindet automatisch die entsprechende Lektion aus der Benachrichtigungsleiste. Das geschieht übrigens auch, wenn man die Funktion ohne Tutorial durch Zufall „entdeckt“. Fraglos ein gelungenes Prinzip, um den Benutzer anzulernen.

Fotostrecke: 3 Bilder Native Instruments Traktor DJ: Die „Notifications“ teilen einem mit, wenn es noch Kapitel zu lesen gilt

Hier erfährt man also gewissermaßen im „Vorbeigehen“, dass beispielsweise ein Wisch von unten nach oben den Browser öffnet, aus dem heraus man die beiden Decks mit Tracks bestückt. Zwar gibt es dafür auch einen dedizierten Taster, die Wischbewegung ist aber zweifellos schneller ausführbar. Nach und nach werden einem dann auch weitergehende Kniffe vermittelt, wie etwa, dass das Greifen in die Wellenform mit zwei Fingern gleichzeitig einen Loop aktiviert und man diesen mit einem Zwei-Finger-Klick wieder abschaltet. Viele der Tricks findet man tatsächlich von alleine heraus, für andere Hinweise, wie etwa, dass der „Freeze“-Taster bewirkt, dass man sowohl einzelne Slices innerhalb eines Loops, wie auch Abspielpositionen innerhalb des Audiofiles via Fingerdruck (beatsynchron) triggern kann, ist man dann aber doch dankbar.
Je nach Zoom Stufe und gewählter Quantisierung (1/4 Schlag bis 1 Takt) gelingen die Gestensteuerungen mal perfekt, mal weniger gut – oft „erwischt“ man beim Setzen von Loops beispielsweise nicht die richtigen, vollen Taktzeiten sondern haut eine Viertelnote „daneben“. Im Zuge eines Updates sollten Native Instruments hier dringend eine Quantisierung auf ganze Zählzeiten nachreichen. Das Grundproblem liegt primär natürlich nicht an Native Instruments, sondern ist prinzipbedingtes Handicap aller Touch-Devices (wohlgemerkt: jetzt noch, denn Touch-Oberflächen mit taktilem Feedback befinden sich ja bereits in der Entwicklung). Es ist und bleibt ein Unterschied, ob die Aktivierung eines Loops durch das sanfte Klicken eines Tasters unter den Fingern signalisiert wird oder man lediglich die visuelle Rückmeldung am Bildschirm bekommt. Zugegeben: Auch das wurde in Traktor DJ sehr gut gelöst, denn ein aktiver Loop-Bereich wird durch einen grünen Rahlmen relativ gut sichtbar dargestellt. Und auch wenn man sich mal „vertippt“, gelingt es durch die im Hintergrund mitlaufende Synchronisation meist noch, die Schleife neu zu setzen oder so zu verschieben, dass es passt.
Aber schauen wir uns die Arbeit mit Traktor DJ mal in Live und Farbe an:

Apropos beatsynchron: Das Thema „Sync“ nimmt in Traktor DJ, wie nicht anders zu erwarten, einen hohen Stellenwert ein, um nicht gar zu sagen: Traktor DJ lässt eigentlich gar keinen Mix ohne Auto-Sync zu. Zwar ist der entsprechende Taster abwählbar, da aber abgesehen vom manuell justierbaren globalem Tempo keine Möglichkeit zur Pitch-Änderung innerhalb der Decks vorgesehen ist, besteht praktisch keine Möglichkeit für händisches Beat-Matching. Wer wirklich noch mal (und wenn es nur aus reiner Nostalgie ist) das Mixen mit Pitch-Fader und Abbremsen/Anschieben in relativ realistischer Simulation erfahren möchte, ist entsprechend mit Algoriddims „djay“ weitaus besser beraten. Traktor DJ dagegen unterstützt den DJ, wo es nur kann beim Vollführen „perfekter“ Übergänge. Das beginnt bei der extrem schnellen BPM-Analyse, der man – für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie mal daneben haut – in einem gesonderten Fenster auf die Sprünge helfen kann. Hier kann man sehr komfortabel innerhalb eines Taktes die Wellenform unter den Zählzeit-Markern verschieben, um zum perfekten Beat-Grid zu gelangen. Auch das Halbieren des BPM-Wertes und das manuelle Eintappen sind hier möglich.

Native Instruments Traktor DJ: Bei der Grid-Anpassung verschiebt man das Audiofile gewissermaßen „unter“ den Schlägen
Native Instruments Traktor DJ: Bei der Grid-Anpassung verschiebt man das Audiofile gewissermaßen „unter“ den Schlägen

Weitergehende Hilfestellung auf dem Weg zum geschmeidigen Musik-Überblenden leistet die integrierte „Harmonic-Mixing-Analyse“. Wer im Detail erfahren möchte, worum es hier geht, dem empfehle ich wärmstens den Bericht meines geschätzten Kollegen Peter Westermeier, den ihr hier findet. Meine persönliche Meinung ist allerdings, dass es sich hierbei um die vielleicht überflüssigste Idee seit Erfindung des Bubble Teas handelt, da es im Kern auch nicht viel komplizierter ist, sich im klassischen diatonischen Skalensystem zurecht zu finden. Der Vorteil dabei ist nämlich, dass man sich, wenn man es einmal gelernt hat, mit jedem Musiker auf dieser Welt verständigen und auch seine eigenen Tracks direkt mit dem gewünschten Grundton produzieren kann – aber egal. Im Ergebnis liefert die Harmonic Mixing-Empfehlung, die Traktor DJ in Form der entsprechenden Key-Nummer mit einem grünen Herzchen ausspricht, natürlich eine zugegeben gute Empfehlung, welches Stück als nächstes harmonisch zum gerade laufenden Track passen könnte.

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Fazit

Traktor DJ überrascht, denn gerechnet hätte man beim Transfer auf das iPad mit einem Konzept, das viel näher an Traktor Pro angelehnt ist. Stattdessen verfolgt die nun vorliegende Version einen sehr eigenständigen Ansatz. Dreh- und Angelpunkt ist im Wortsinn die Multitouch-Bedienung, die wirklich konsequent und weitreichend umgesetzt wurde. Egal, ob es nun um das Aktivieren und Verschieben von Loops, das Feintunen des Beat-Grids oder das Setzen und Abfeuern von Cue-Punkten geht: Alles geht – mit den Touch-typischen Einschränkungen in Bezug auf die Präzision – gut und vor allem zügig von den Fingern. Die Arbeit mit der Software macht sowohl in Bezug auf die Effekte, als auch die EQ- und Filter-Sektion durchweg Spaß. Dem Anwender wird dabei durch Auto-Sync und Harmonic-Mixing so weitreichend unter die Arme gegriffen, dass es fast schon schwer fällt, einen Übergang zu versemmeln. Ob man sich als DJ damit nun unterfordert fühlt oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Absolute Newbies können sich hier in jedem Fall schnelle Erfolgserlebnisse abholen. Profi-DJs können bequem auf dem Sofa fletzend ihr Set für den abendlichen Gig vorbereiten. Ein bisschen mehr Innovationsfreude hätte ich mir am Ende allerdings in Bezug auf das Audiorouting gewünscht, denn sowohl der Umweg über ein Split-Mono-Kabel, als auch das Prinzip, nur mit einem Main- und einem Cue-Out zu arbeiten, erscheint mir für den professionellen Einsatz ein bisschen zu unflexibel. Gerade dann, wenn man auf ein externes Mischpult zurückgreift, hätte die Möglichkeit, beide Decks getrennt auf ein Multi-I/O-Gerät zu legen, sehr viel Sinn gemacht. Und genau deshalb halte ich mir ein halbes Motivations-Sternchen bis zum nächsten Update noch in der Hinterhand.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Innovatives Konzept
  • Schnelle BPM-Analyse
  • Integrierte Harmonic-Mixing Unterstützung
Contra
  • Bedienung nicht immer sicher
  • Decks können (noch) nicht Einzelausgängen zugewiesen werden
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